Provenienzforschung im „kolonialen Kontext"

Kulturausschuss

Anfrage der Ratsfraktion DIE LINKE. Düsseldorf zur Sitzung des Kulturausschusses am 23.02.2023 (KUA/039/2023):

DIE LINKE reichte zur Sitzung des Rates am 01.07.2021 einen Antrag ein, der mehrheitlich beschlossen wurde und die Verwaltung damit beauftragte, die Bestände aller städtischen Kunst- und Kultureinrichtungen (Gegenstände, sonstige Objekte, Sammlungen, Materialien etc.) auf einen möglichen kolonialen Ursprung zu überprüfen und die Ergebnisse dem Stadtrat vorzustellen.

Die Nachwirkungen des Kolonialismus finden sich auch im institutionellen, strukturellen und alltäglichen Rassismus der Gegenwart. Sie spiegeln sich in Gesellschaftsstrukturen, Lebensrealitäten, Kunst und Kultur sowie in der Sprache der Menschen in Europa wider. In Deutschland und anderen europäischen Ländern wurde die Aufarbeitung des Kolonialismus lange verdrängt und die Kolonialgeschichte isoliert vom kolonialen Sammeln und Raubkunst betrachtet.

Hinsichtlich der Erforschung der Herkunft von Gegenständen, Objekten, Sammlungen und Materialien aus kolonialen Erwerbskontexten wird seit einigen Jahren auch der Begriff Provenienzforschung verwendet. Der Deutsche Museumsbund formuliert in seinem Leitfaden Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten: "Eine Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit von Museen und ihren Sammlungen ist aus Sicht des Deutschen Museumsbundes unverzichtbar.”

Auch die Stadt Düsseldorf sollte ihren Umgang mit der Kolonialgeschichte intensivieren; ein gesellschaftlicher Bewusstseinswandel ist dringend geboten.

Die Stadt sollte ihren Beitrag dazu leisten, die Beziehung zwischen Herkunftsgesellschaften und Museen auf eine neue Basis zu stellen und eine postkoloniale Erinnerungskultur in Düsseldorf zu schaffen. Um das Bewusstsein für die Problematik zu schärfen, reichte DIE LINKE den Antrag zur Provenienzforschung im „kolonialen Kontext“ am 01.07.2021 in der Sitzung des Rates ein.

DIE LINKE Ratsfraktion Düsseldorf fragt an:

  1. Wie ist der aktuelle Stand der Überprüfung von Beständen aller städtischen Kunst- und Kultureinrichtungen auf einen möglichen kolonialen Zusammenhang?
     
  2. Wenn Bestände mit kolonialem Zusammenhang festgestellt wurden, in welchen Kunst- und Kultureinrichtungen wurden diese gefunden und um welche handelt es sich dabei genau? (Bitte eine Auflistung.)
     
  3. Wenn Bestände mit kolonialem Zusammenhang festgestellt wurden, wie geht die Verwaltung damit um?

Mit freundlichen Grüßen
Peter-Ulrich Peters                          Sophie Würdemann                            Michael Driesch


Antwort der Verwaltung durch Beigeordnete Koch:

Antwort zu Frage 1:

Aufgabe der Provenienzforschung ist es, die städtischen Kunst- und Kulturinstitutionen die Herkunftserforschung ihrer Objekte betreffend vor dem Hintergrund diverser Unrechtskontexte, welcher den kolonialen Unrechtskontext einschließt, zu unterstützen und zu beraten. Die Verwaltung weist darauf hin, dass die Stabsstelle Provenienzforschung nach Abschluss des gemeinsam mit dem Stadtarchiv durchgeführten Projekts der Erschließung der für die Provenienz-forschung relevanten städtischen Akten aus der Zeit von 1933 bis 1945 durch ein Findmittel, in der zweiten Jahreshälfte 2022 die Bestandsaufnahme aller von der Stadt in diesem Zeitraum erworbenen Kulturobjekte beginnen konnte. Im Zuge dieser Überprüfungen werden auch mögliche koloniale Kontexte in Augenschein genommen werden, die in die Ergebnisdokumentation einfließen werden.

Die Bestandsaufnahme wird angesichts der großen Zahl von Sammlungsobjekten in städtischem Besitz – geschätzt rund 4 Million Objekte, darunter etwa 2 Millionen Archivalien – nicht vor 2025 abgeschlossen werden können. Erst dann wird eine belastbare Aussage über den Umfang von Kulturgut, das ggf. aus einem kolonialen Zusammenhang stammt oder von anderen Unrechtskontexten betroffen sein kann und daher genauer zu untersuchen sein wird, getroffen werden können.

Es ist anzunehmen, dass der Kunstpalast aufgrund seiner Sammlungsstrukur am ehesten von den städtischen Häusern betroffenen ist. Dort geht es um Sammlungen von Möbeln, Büchern und Metallobjekten – in erster Linie Werke der Angewandten Kunst (15.-19. Jh.) aus Syrien, Ägypten, dem ehemaligen Osmanischen Reich und Persien sowie eine Sammlung koptischer Textilien aus Oberägypten. Darüber hinaus hat der Kunstpalast 2005 von Privat eine Sammlung von Bronzen (ca. 60 Skulpturen) geschenkt bekommen, die überwiegend aus Kambodscha, Siam (Thailand), Laos, Tibet und Indien stammen. Im Kunstpalast ist man bereits seit einigen Jahren für das Thema Provenienzforschung im Kontext des Kolonialismus sensibilisiert. Bislang haben sich keine Hinweise auf koloniale Raubkunst in der Sammlung ergeben. Die Recherchen sind jedoch zeitaufwendig. Sie werden sowohl vom Kunstpalast als auch von der Stabsstelle Provenienz-forschung im Rahmen der Bestandsaufnahme weitergeführt.

Für die Neupräsentation der Sammlung hat der Kunstpalast die hauseigene systematische Provenienzerforschung noch einmal erweitert. Das Museum zielt darauf ab, so transparent wie möglich mit der Herkunft der Werke in seiner Sammlung umzugehen. Deshalb werden alle Ergebnisse der Provenienzforschung, auch wenn sie Lücken aufweisen, auf der Sammlungswebsite veröffentlicht. Der Kunstpalast wird zudem in der Neupräsentation extra einen Bereich einrichten, wo er sich exemplarisch mit der Herkunft seiner Objekte auseinandersetzt und dabei auch ein Beispiel zur Problematik bei Kunst aus Kolonial- bzw. Kriegsgebieten präsentieren wird.

Antwort zu Frage 2:
Aquazoo Löbbecke Museum: Bestand von 96 ethnologischen Objekten, für die in Teilen ein kolonialer Zusammenhang bestehen kann

Das Aquazoo Löbbecke Museum hat im vergangenen Jahr die Stabsstelle Provenienzforschung auf einen Bestand von insgesamt 96 ethnologischen Objekten aufmerksam gemacht, die im Depot des Hauses in Kartons gelagert sind. Dazu zählen u.a. Speere, Bogen, Gefäße und Schalen, Skulpturen und Masken aus Holz, Federschmuck und Körbe. Eine erste Sichtung des Bestandes hat ergeben, dass die Objekte aus verschiedenen Herkunftsregionen und -gesellschaften stammen. Es ist anzunehmen, dass es sich um eine spätere Zusammenführung von Objekten handelt, die über unterschiedliche Erwerbskontexte ins Haus kamen. Im Aquazoo ist weder eine wissenschaftliche Dokumentation zu den Objekten vorhanden noch lassen sich über die dort zugänglichen Quellen bisher genauere Angaben über die Herkunftsgeschichte dieser Objekte machen. Über Recherchen der Provenienzforschung wurden jedoch mehrere mögliche Erwerbungskontexte identifiziert, die mit diesem Bestand in Zusammenhang stehen können, darunter eine Kamerun-Expedition, die 1936 unter Beteiligung des damaligen Leiters des Löbbecke Museums stattfand und der Vorbereitung einer „Kolonialschau“ im Kontext der NS-Ausstellung „Schaffendes Volk“ im folgenden Jahr diente.

Antwort zu Frage 3:
Die Stabsstelle Provenienzforschung hat mittels einer fotografischen Dokumentation des Bestandes von 96 ethnologischen Objekten im Aquazoo erste Einschätzungen von Fachkolleg*innen eingeholt, die darauf hinweisen, dass die Objekte im Aquazoo aus unterschiedlichen Herkunftsregionen (Afrika, u.a. Kamerun; Asien) stammen. Als nächster Schritt erfolgt eine Erfassung der Objekte in der Objektdatenbank für Kulturbestände der Landeshauptstadt Düsseldorf (TMS), voraussichtlich ab April 2023. Die Erfassung soll mit einer konservatorischen Begutachtung der Objekte einhergehen. Im Anschluss der Erfassung kann eine Liste der Objekte generiert werden.

Die Objekterfassung ist Ausgangspunkt für die Erarbeitung eines Förderantrags zur weiteren Untersuchung des heterogenen Bestandes. Im Rahmen eines vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Erstchecks für Objekte aus möglicherweise kolonialen Kontexten soll eine wissenschaftliche Erforschung des Bestandes in Hinblick auf die Herkunftsregionen und -gesellschaften sowie ihrer kulturellen Nutzungs- und Bedeutungskontexte erfolgen. Für diejenigen Objekte, für die sich aus dieser Maßnahme eine Herkunft mit kolonialen Zusammenhang ergibt bzw. nicht ausschließen lässt, soll in der Folge ein weiterführendes Projekt zur Klärung der individuellen Objektbiografien und der Erwerbsumstände erfolgen, möglichst unter Beteiligung der Herkunftsgesellschaften. Weitere Möglichkeiten für wissenschaftliche Kooperationen, beispielsweise mit dem Institut für Geschichtswissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Abteilung Globalgeschichte, werden ebenfalls geprüft werden.